10/12/17 (Sonntag)
von kehricht
Auszug aus der umfangreichen Geschichte zum Standort des ehem. neuen Schweineschlachthofes St. Marx – dem heutigen Kulturzentrum „Arena“
Donau Auen – Donauregulierung
Die Donau erhält den größten Teil ihrer Zuflüsse aus den Alpen und weist daher stark schwankende Wasserstände auf. Im Wiener Becken bildete sie ein ganzes Netz wechselnder Wasserarme aus. Weitreichende Überflutungen bei Eisgängen und Hochwässern bedrohten wiederholt die Stadt und behinderten vorübergehend ihre Entwicklung. Bereits um 1800 konnten durch einen Donaukanaldurchstich einige Gebiete in Erdberg trockengelegt und parzelliert werden.
Quelle: Stadt Wien – Vienna GIS, www.wien.gv.at/viennagis/
Links: 1780: vor der Donauregulierung – Rechts: 1875: nach der Donauregulierung
Gebietsansiedelungen // Stadtteilentwicklung
Versorgungsbetriebe mit gegenseitig ergänzenden Bedürfnissen und Angeboten siedelten sich in Erdberg an wie zb. Wasenmeister (Tierkörperverwertung), Leimsieder und Weißgerber.
In St. Marx und Simmering wurden die Gebiete entlang einer alten Römerstraße und wichtigen Handels- und Verkehrsroute (St. Marxer Linie, heutiger Rennweg und Simmeringer Hauptstraße) durch Viehstände, einen Schweinemarkt beim Bürgerspital, eine Kaserne, eine Bahnstation, eine Teerfabrik, eine Waggonfabrik, eine verlegte Tierkörperverwertung, Gas- und E-Werk, Schlachthäuser, Fleichselcher, Seuchenhöfe, später Kühlhallen und eine Wurstfabrik erschlossen.
Der Bau des neuen Schweineschlachthofes
Der Bauingenieur Max Fiebiger (1867-1958) war seit 1900 mit diversen Erweiterungsbauten am Zentralviehmarkt betraut und entwarf und leitete den Bau des neuen Schweineschlachthauses (1908-10, heutige Arena) und des großen Kontumaz(Quarantäne)- und Seuchenhofes (1916-22, alte Arena).

Stadtbaudirektor Ing. Max Fiebiger Quelle: Tillmann, Rudolf, Festschrift herausgegeben anlässlich der Hundertjahr-Feier des Wiener Stadtbauamtes, Wien 1935, S. 52
1920-25 war er als Stadtbaudirektor tätig und baute zahlreiche Schulhäuser und Kindergärten, Schweinemastanstalten, Kühlhallen, Schlacht- und Seuchenhöfe, Straßen, Kanäle, erweiterte die Hochquellenwasserleitung. Übriggebliebene Gasbeleuchtung wurde durch elektrische Lampen modernisiert. Ebenso war er an Bauprogrammen zur Schaffung von Kleinwohnungen beteiligt.
Ab April 1908 (Auftragserteilung 1905) wurde an der Ecke Baumgasse und geplantem Landstraßer Gürtel (heutiger Franzosengraben) auf einer Grundfläche von 15.865 m² an einer Schweineausladerampe der Schlachthausbahn der neue Schweineschlachthof mit einer Fläche von 8.289 m² für 1500 Schweine in Warte- und Stechbuchten errichtet.
Das Terrain musste bedeutend aufgeschüttet werden; die wichtigsten Gebäude waren aber schnell errichtet. Urspünglich war der Seuchenhof an dieser Stelle geplant, denn es existierten zahlreiche Seuchen unter den Haus- bzw. Nutztieren.

Beginn der Bauarbeiten Quelle: Die Gemeindeverwaltung der K.K. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1908, Wien 1910, S. 254
Am 02. Jänner 1910 wurden schließlich die ersten Schweine eingetrieben und am 20. Juni 1910 eröffnet.

Eröffnung des Schweineschlachthauses Quelle: Amtsblatt der K.K. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, 19. Jahrgang, Wien 1910, S. 57
Der Betrieb des Schweineschlachthauses ersetzte damit die sonst üblichen Schweineschlachtungen an der Notstechbrücke in St. Marx und in den Rinderschlachthöfen.
Neues Schweineschlachthaus statt alter Notstechbrücke St. Marx

Notstechbrücke am Zentralviehmarkt Quelle: Festschrift Wiener Stadtbauamt, 1935, S. 175
„Hart an der Donau standen die öffentlichen Schlagbrücken der Fleischhauer. Man brachte dieselben in dieser Entfernung von der Stadt an, nicht nur um die Luft in den nächsten Umgebungen der Stadt rein zu halten, und die Gefahren, welche den Menschen bey Tödtung des Schlagviehes bevorstehen, zu entfernen, sondern auch um den Fleischhauern selbst mehr Bequemlichkeit zu verschaffen.“

Gesamtlageplan des Zentralviehmarkt; das neue Schweineschlachthaus befindet sich in der rechten oberen Ecke. Quelle: Paul, Martin, Technischer Führer durch Wien, Wien 1910, S. 236, Abb. 149

Gesamtlageplan des Zentralviehmarkt; das neue Schweineschlachthaus befindet sich in der rechten oberen Ecke. Plan von Wien, Ausschnitt, 1935 Quelle: schlot.at
Die Gebäude und deren Einrichtungen
Die Kühlhalle (an Stelle der heutigen Open Air Wiese) bestand aus zwei Hallen, die durch eine Kohlensäure-Kühlmaschine mit Tandem-Heißmaschine (80 PS) als Antrieb gekühlt wurden. Das Kühlwasser, der Abdampf und das Kondensationswasser wurden dem Betrieb wieder zugeführt.

Bombentreffer nach dem 2. Weltkrieg an der alten Kühlhalle auf dem heutigen Open Air Gelände Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 103
Im damaligen und heutigen Verwaltungsgebäude waren im Erdgeschoß Amtsräume und eine Aufseherwohnung und im Obergeschoß eine Wohnung für den Schlachthofleiter und einen Aufseher untergebracht.
Der heutige Kleine-Hallen-Trakt war als Sterilisierungsanstalt erbaut wurden und unterteilte sich in Wasch-, Umkleide-, Koch, Desinfektions-, Zerteilungs- und Untersuchungsraum sowie eine Freibank mit Warte- und Verkaufsraum und eine Kanzlei.
In diesem Trakt wurde Fleisch, das seuchenverdächtig war, sterilisiert und günstig in der Freibank verkauft. Die Freibank war im Erweiterungsbau von 1926 eingerichtet worden. Bei diesem heutigen Kleine-Hallen-Konzertraum handelte es sich um einen Verkaufsraum, in dem minderwertiges tw. mit Bandwurmlarven besetztes Fleisch oder Fleisch von kranken oder verunfallten Tieren günstig verkauft wurde. Kranke Tiere dürfen und durften nicht in normalen Schlachthöfen geschlachtet werden; das Fleisch nicht in normalen Fleischereien verkauft werden.
Ein- und Ausfahrt lag beiderseits eines Torwächterhäuschens (heute noch mit nur einer Einfahrt vorhanden)

Schlachthofarbeiter vor dem Freibankgebäude (Kleine Halle) mit Torwächterhäuschen, 1938 Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 155

Freibank – Verkaufsraum (Kleine Halle, von der Bühne, Richtung Ausgangstür), 1938 Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 154

Sterilisierungs- bzw. Sudraum (heutiger Dreiraum-Konzertraum) Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 261

Eröffnung der verlegten Freibank, 16. März 1950 (neben der heutigen großen Halle) Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 492
Die Hallen und die diversen Räume wurden stetig umgebaut und erweitert; der Verkaufsstand an die südöstliche Einfriedungsmauer verlegt.

Neue Freibank – Innenraum, 16. März 1950 (neben der heutigen großen Halle) Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 491

Arena Beisl – ehem. Meister- und Gesellenraum- Schlafstätten für die Lohnschlächter im Obergeschoß Quelle: Arena Archiv 2013
Im Trakt des heutigen Beisls waren Aufenthaltsräume für die Arbeiter: Gesellen, Gehilfen, Meister, Aufseher untergebracht.
Die importierten Schweine kamen hauptsächlich aus Ungarn und Bosnien und Herzegowina Jedoch konnte man Schweine selbst in den Schlachthof bringen und sie gegen Gebühr (90 Kronen für ein Schwein und 3 Tage Kühlhauslagerung) unterbringen, schlachten und in der Kühlhalle lagern.

Nicht mehr existent: Tötebucht mit Brühbottich und Enthaarungsmaschine, im März 1952 Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 587

Nicht mehr existent: Brühbottich, Enthaarungsmaschine und Auswerfer für Schweine, im März 1952 Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 589

Nicht mehr existent: Arbeiter in der Darmwäscherei Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 560
Kunsthistorische Kurzanalyse

Das einstige und heutige Verwaltungsgebäude Quelle: Arena Archiv 2013
Profaner Sichtziegelbau, erbaut im Landstraßer Stadtteil St. Marx in den Jahren 1908 – 1910 – am Höhepunkt der Bevölkerungsdichte Wiens – als Ausläufer der romantisch historistischen Industriebauten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Um- und Anbauten aus dem 20. Jahrhundert.

Alter Schriftzug an der heutigen großen Konzerthalle, darüber das typische Ziegelfries Quelle: Arena Archiv 2013
Die heutige große Konzerthalle beherbergte das Kessel- und Maschinenhaus sowie Kohlendepots, Maschinistenraum und diverse Lagerräume.
Die Eingangsfront hat den sakralen Charakter einer Basilika – einer mehrschiffigen, profanen Halle, die schon in der altrömischen Baukunst als Markt-, Gerichts- und Versammlungshalle diente. Übernahme durch die Christen; im 19. Jahrhundert ist die basilikale Grundform der vorherrschende Kirchentypus.
Am Blendgiebel befindet sich ein mit Ziegeln stilisiertes Zahnschnittfries und ein großes Rundfenster. In der Frieszone befindet sich das seltene und für die Arena typische dreifache, zu einer Blume versetzte Zahnfries. An der Westwand finden sich über zweigeschossigen Rundbogenfenstern die Original-Schriftzüge „Kesselhaus“ und „Maschinenhaus“.

Vorderfront der heutigen großen Halle Quelle: Arena Archiv 2013
Zum Verkauf des Auslandsschlachthofes und zum Ende der Schlachthöfe
Ab Mitte der 60er gingen die Lebendanlieferungen stark zurück, da mit dem „Fortschritt der Kühltransporttechnik“, „dem Ausbau der Verkehrslage“ und den ausgelagerten und billigeren „Produktionsgebieten“ nicht mitgehalten werden konnte. Ebenso gab es neue „Erkenntnisse“ und Vorschriften die „Lebensmittel- und Schlachthygiene“ betreffend, weswegen Mitte der 70er beide Schlachthöfe (damalige Auslands- und Inlandsschlachthöfe – Schweineschlachthaus am 21.6.76) bereits geschlossen hatten und 1997 die Schlachtungen auch am Zentralviehmarkt beenden wurden.
„Im Sinne von Betriebsansiedelungen oder Betriebsausweitungen wurden [zahlreiche] Liegenschaften im 3. und 10. Bezirk verkauft.
Zur Besetzung im Sommer 1976
Die Besetzung des Kontumazmarktes/des damaligen Auslandsschlachthofes im Rahmen der Wiener Festwochen diente als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Kulturpolitik der Stadt Wien und zeigte den Mangel an alternativen Kultureinrichtungen auf.
In der kurzen Zeit der Auseinandersetzungen mit der Stadt Wien haben die Besetzer mit vereinten Kräften und Zielen erreicht, ein funktionierendes, alternatives und frei zugängliches Kulturzentrum aufzubauen. Zwar wurde der besetzte Schlachthof trotz Widerstand abgerissen, doch der gegenüberliegende, kleinere Schweineschlachthof wurde zur freien, alternativen, kulturellen Umnutzung angenommen.

Luftbildaufnahme des Auslandsschlachthofes 1956, Links das besetzte Areal: der spätere Auslandsschlachthof, der Austragungsort der Festwochen-Arena, Rechts oben der ehem. Schweineschlachthof – die heutige Arena Quelle: WSTLA, Presse und Informationsdienst Bestand 3.3.11, FC2Positive ehemaliger Ordner, 56170.81
Link zum Archivsystem: https://www.wien.gv.at/actaproweb2/benutzung/archive.xhtml?id=Stueck++0f7d1790-22eb-4b8b-8ea9-6e07bbde4a06VERA#Stueck__0f7d1790-22eb-4b8b-8ea9-6e07bbde4a06VERA
Nach dem Einzug der Bewegung in die „neue Arena“ fanden anschließend im Juli 77 bis Juli 78 Umbauarbeiten statt. Danach begann das regelmäßige und bis heute konsequent geführte Veranstaltungsprogramm am heutigen Arena-Gelände.

Umbauarbeiten am Open Air Gelände 1994 Quelle: Arena Archiv
Großer Umbau der großen Halle und des Open Air Geländes: 1994-2004 durch das Architekturbüro Rataplan
Die Gebäude der heutigen Arena sind stark restaurierungsbedürftig, da sie seit 40 Jahren für die Allgemeinheit genutzt werden. Eine der Besonderheiten ist die auffallende Ziegelfriesgestaltung.
Auszug aus dem Bescheid des Bundesdenkmalamtes Wien laut § 2 des Denkmalschutzgesetzes, 1997 – GZ.: 29.276/3/1997
„Alle Gebäude weisen die charakteristische Industriefassadengestaltung aus dem Ende des 19. Jahrhunderts mit der typischen Sichtziegelarchitektur auf, wobei hier die über die Hauptgesimse bzw. Giebelgesimse noch gezogenen Zierelemente in äußerst selten gewordener Komplettheit anzutreffen sind.“
“Die Gebäude des ehem. Schweineschlachthofes stellen mit ihren typischen und weitgehend vollständig erhaltenen Sichtziegelfassaden eine bereits selten gewordene Form dieser Industriebauweise aus dem Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien dar und sind daher architekturgeschichtlich von besonderer Bedeutung.”
“Der Schweineschlachthof dokumentiert als einer der letzten erhaltenen Reste der einstigen Vielzahl an historischen Viehmarkt- und Schlachthofbauten in St. Marx einen bedeutenden Bereich der Wirtschaftsgeschichte Wiens um die Jahrhundertwende.”

Nicht mehr existent: Reparaturen an dem Dach der im zweiten Weltkrieg von Bomben getroffenen Kühlhalle. Blick in Richtung Gasometer auf das Verwaltungsgebäude, 1947 Quelle: WSTLA, Bestand 3.3.21, Fotos aus dem Bestand M.Abt. 243, FC Positive, 4. Viertel 19.Jh.-2.H.20.Jh.: Nr. 115
Die Arena Wien ist eines der europaweit bedeutenden Beispiele für die funktionierende kulturelle Umnutzung leerstehender Fabriksgebäude durch autonome Gruppen.
http://arena.wien/
Bibliografie
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